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Reicht schon zu wissen, dass es das gibt

Zwischen Nostalgie und Frust: warum echte Leidenschaft heute kaum noch Publikum findet,
warum „kein Platz“ nur eine Ausrede ist –
und warum ich trotzdem weitermache.

Über die Zuschauermentalität der Retro-Generation – und warum „kein Platz“ keine Ausrede ist

Ich habe mir lange eingeredet, die Leute hätten einfach „keine Zeit“.
Job, Familie, Alltag, alles verständlich.
Aber je länger ich das beobachte, desto klarer wird:
Es geht nicht um Zeit.
Es geht um Wille.

Und den haben die wenigsten.

Der neue Fetisch: Teilnehmen, ohne dabei zu sein

Ich habe eine Spielhalle gebaut.
Mit echten Maschinen, die brummen, riechen, warm werden.
Nicht auf AliExpress bestellt, sondern mit eigenen Händen wiederbelebt.
Und was machen die Leute?
Sie schauen Fotos davon an.
Ein Video.
Vielleicht ein Reel.
Und sagen:

„Geil, dass es sowas noch gibt!“

Das war’s.
Sie müssen gar nicht herkommen.
Sie müssen es sich nicht mal wirklich anschauen.
Es reicht ihnen zu wissen, dass es da ist.

Das ist das digitale Methadon unserer Zeit:
Du konsumierst den Traum, ohne ihn zu leben.
Man nennt es „inspirational content“ –
ich nenne es Realitätsvermeidung mit WLAN.

Vom Sammler zum Serviceanbieter

Ich wollte, dass die Leute sich anstecken lassen.
Dass sie ihre eigenen Räume schaffen, Geräte retten,
die Schraubenzieher rausholen, Mut fassen, Fehler machen.

Aber selbst die paar Anfragen, die kamen –
„Kann man bei dir spielen?“,
„Machst du Führungen?“,
„Kannst du mir eins besorgen?“ –
waren selten. Und wenn, dann blieben sie folgenlos.

Keiner wollte wirklich aufstehen, vorbeikommen, mithelfen.
Alle fanden’s einfach nur gut, dass es existiert.

Und genau das ist das Traurige:
Man wünscht sich keine Teilhabe,
sondern nur das gute Gefühl, dass irgendwo jemand
den Traum für einen weiterlebt.

Warum selbst der perfekte Sonntag nicht reicht

Ich habe mir den Sonntag ausgerechnet.
Der perfekte Tag, dachte ich.
Jeder hat frei, alle sind wach, Kinder wollen Action, niemand im Stress.
Also gab’s geöffnet, frisch gezapfte Biere – vier Sorten Craft-Beer, vom Fass, schön kühl.

Ich stellte mir vor, dass sich die Leute sonntags bei mir volllaufen lassen,
Arcade-Sound, Gelächter, Flipperkugeln, der ganze Wahnsinn.
So wie früher, als man sich noch gegenseitig angefeuert und ausgelacht hat.

Aber nichts davon passierte.
Zwei, vielleicht drei Gäste.
Steif, steril, leise.
Sie spielten, als wären sie in einer Bibliothek.
Und das Bier?
Wurde kaum angerührt.
Vier Stunden an einem Cola nippen – ja nicht zu schnell trinken,
sonst müsste man nochmal drei Franken zahlen.

Da wusste ich:
Es liegt nicht am Tag, nicht an der Werbung, nicht an mir.
Es liegt an einer Gesellschaft, die lieber „erlebt, ohne es zu spüren“.
Die will Nostalgie – aber bitte ohne Lautstärke, ohne Schweiss, ohne Kater am Montag.

„Ich hätte ja auch gern eins, aber… ich hab keinen Platz“

Das höre ich am häufigsten.
Kein Platz.
Als wäre jeder Quadratmeter bereits heilig besetzt –
von Sofas, Dyson-Dockingstationen, Katzenfutterstationen, LED-Kerzen und Deko-Velos, die nie gefahren werden.

Aber ein einziger, ehrlicher Quadratmeter für ein Stück Kulturgeschichte?
Nein, das geht natürlich nicht.

„Kein Platz“ ist nicht das Problem.
Das Problem ist die Priorität.

Jede Wohnung, jeder Keller, jede Garage in diesem Land hat irgendwo eine tote Ecke.
Dort steht ein leerer Getränkekühlschrank, ein Karton voller „vielleicht brauche ich das mal wieder“-Zeug oder ein Crosstrainer, auf dem seit 2019 niemand mehr geschwitzt hat.
Und genau da – da könnte deine Arcade stehen.

Ein kleiner Raum mit 3–4 Geräten, ein eigener Stromkreis, ein paar Bierdeckel auf dem Boden –
mehr braucht’s nicht, um sich ein Stück Vergangenheit zurückzuholen.
Das ist kein Luxus. Das ist eine Entscheidung.

Plastiknostalgie und Angst vor Gewicht

Stattdessen kaufen die Leute Mini-Cabs auf AliExpress.
Handtellergross, bunt, USB-betrieben, mit Emulator drauf.
Hauptsache billig und „retro“.
Das ist so, als würde man sich ein Foto eines Ferraris an die Wand hängen
und sagen, man sei jetzt Rennfahrer.

Wir leben in einer Zeit,
in der alles leicht, klein und kabellos sein muss.
Aber Leidenschaft ist nie leicht, klein oder kabellos.
Sie braucht Platz, Strom, Schmutz,
und manchmal auch ein bisschen Chaos.

Raum ist ein Statement

Wenn du dir ein echtes Gerät holst,
dann schaffst du nicht nur Platz.
Du schaffst Raum für Leidenschaft.
Du sagst dir selbst:

„Das hier ist mir wichtiger als Deko-Blumen und Streaming-Abos.“

Und das ist verdammt nochmal okay.
Wir brauchen wieder Räume, in denen Dinge leben dürfen.
Geräte, die brummen, riechen, flimmern.
Nicht perfekt, aber echt.

Bildschirm-Realität

Die Leute sitzen zuhause,
scrollen durch Videos, in denen ich in Italien Cabs lade,
Rost abkratze, Stecker löte,
und denken:

„Cooler Typ, der lebt das richtig!“

Dann klicken sie weiter zu einem Katzen-Video.

Das war der Moment, an dem ich’s verstanden habe:
Sie brauchen mich nicht als Mensch,
sie brauchen mich als Proof of Concept.
Ich bin ihr lebendiges Argument,
warum sie selbst nichts machen müssen.
Weil „es ja schon jemanden gibt, der das macht.“

Leidenschaft ohne Risiko

Das Schlimmste ist nicht, dass sie nicht kommen.
Das Schlimmste ist, dass sie glauben,
sie hätten teilgenommen,
nur weil sie auf Gefällt mir geklickt haben.

Sie wollen die Emotion,
aber nicht den Geruch von verbranntem Staub.
Sie wollen das Geräusch der Münze,
aber nicht die Rechnung vom Spediteur.
Sie wollen „Retro,“
aber bitte kabellos und in Full-HD.

Und ich stehe da,
mit echten Tasten, echtem Holz, echtem Schweiß –
und merke, dass Echtheit kein Verkaufsargument mehr ist.

Kein Hate – eine Diagnose

Ich hasse sie nicht.
Ich verstehe sie.
Wir sind eine Generation, die gelernt hat,
dass man alles haben kann,
ohne etwas dafür zu tun.
Arcade ist da nur das Symptom.

Aber vielleicht – vielleicht –
kommt irgendwann wieder jemand,
der sich den Staub ins Gesicht blasen lässt,
der das Brummen des Netzteils liebt,
der den Platz macht, statt ihn zu suchen.

Bis dahin bleibe ich hier.
Ich restauriere weiter.
Ich dokumentiere.
Ich halte das Licht am Leben,
damit wenigstens noch jemand weiss,
dass es mal echt war.

Eine Antwort auf „Reicht schon zu wissen, dass es das gibt“

Hallo Tobi,
Teils kann ich mit dir mitfühlen, denn ich betreibe so wie du, eine Location mit Flipper Kästen. Ich hatte zu meiner Anfangszeit auch keine/wenig Besucher. Das ganze ist erst nach ein paar Jahren richtig angelaufen. Ich denke das rund um Paket macht es aus. Anfangs hatte ich mich nur auf Flipper Kästen gerichtet. Später kam eine Video Jukebox dazu, diverse Arcade Geräte, einen Löwen Dart, den ich auch wieder rausgeschmissen habe, da das Interesse nicht da war, ich hatte einen Gerlando Tischfussball in der Flipperbar, der auch nach einem Jahr wieder rausgeflogen ist. Meine Bar/Theke besteht aus ausrangierten Flipper Kästen, die sehr gut ankommt beim Publikum, jedoch war doch der Wunsch der Besucher, die von weit weg zu Besuch kommen, eine gemütliche Sitzecke zu erstellen. Als ich das US Diner in meiner Location aufgestellt habe, war das der Treffpunkt, wo ich die Leute sich kennen lernten und über die Strategien diverse Flipper diskutiert haben.
Ich hatte auch viele Veränderungen in den letzten fünf Jahren.
Einige Zeit hatte ich auch einen Eintritt, und alle Geräte waren auf Freispiel. Von dem bin ich wieder weggekommen, da viele Leute nur ein paar Runden spielen wollten und keine 15 oder 20 Fr. Eintritt bezahlen wollten. Sie kommen, zum eine paar Runden Flipper spielen Arcade zocken und gemütlich ein Getränk an der Bar konsumieren, und alte Musikvideos von z.B. AC/DC zu schauen. Einige kommen wegen dem Ambiente, andere wegen der Flipper, andere wiederum wegen den Arcadegeräte.
Ich hätte die Videobar mehr als Arcade geführt, mit Jetons anstatt Eintritt, Flipperkästen,
Ryrhmus Games wie guitar Hereo, Plüschtiergreiffer, Boxautomat, Coin Pusher, Airhockey usw.

Will nichts falsch sagen, du hattest eine gute Auswahl an Sit down Racer, Shooter usw.

Diene Gertränkeauswahl was auch Hammer.

Denke, wenn deine Location in Sagans gewesen wäre, hättest auch mehr Publikum gehabt.

Hätte hätte Fahrradkette.

Tobi, mach weiter so.

Gruss Fredi
flipperbar.com

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